Deutsche Gesellschaft der Mitglieder der Französischen Ehrenlegion und des Französischen Nationalen Verdienstordens e.V.

KAMINGESPRÄCH AM 18. NOVEMBER 2021

Die deutsch-französischen Beziehungen nach der Merkel-Ära

Im Vorfeld der Mitgliederversammlung am 18. November 2021 fand in der Französischen Botschaft ein Kamingespräch statt zu dem Thema:

Die deutsch-französischen Beziehungen nach der Merkel-Ära

Unser Vorstandsmitglied, Brigadegeneral a.D. Dr. Klaus Wittmann, moderierte eine 90minu-tige Diskussion zwischen der Gastgeberin I.E. Botschafterin Anne-Marie Descôtes sowie Dr. Claudia Major von der Stiftung Wissenschaft und Politik und Professor Étienne François.

Die Botschafterin begrüßte und leitete ein mit dem Ausdruck ihrer Zuversicht, dass mit der neuen deutschen Regierung rasch ein Schulterschluss und enge Kooperation hinsichtlich der drängenden Probleme zustande kommen werden. BK Scholz‘ rascher Besuch in Paris sei wichtig angesichts der Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft durch Frankreich zum 1. Januar 2022.

Die französische Botschaft in Berlin

Claudia Major bilanzierte das deutsch-französische Verhältnis: eine Errungenschaft, die es immer wieder neu zu erarbeiten gelte. Trotz aller gemeinsamen Strukturen und mancher Fortschritte sei es nicht „for granted“ zu nehmen, und in das gegenseitige Kennenlernen müsse mehr investiert werden. Kompromisse zwischen nationalen Positionen könnten mit der „Ampel“-Dreierkoalation schwieriger werden. Europa zusammenzuhalten werde immer mühsamer; Verabredungen und Regeln würden von außen (Machtpolitik, das Auftrumpfen Chinas, Russlands Feindseligkeit, Relativierung der VN und des Multilateralismus) und innen (Brexit, Ungarn, Polen) in Frage gestellt. Deutsch-französische Einigkeit reiche nicht mehr aus, und die jeweiligen Besonderheiten müssten beachtet werden: Systemunterschied, strategischer Ausblick, unterschiedlicher Machtstatus, Stellenwert der Rüstungsindustrie. Entscheidend seien weiterhin klare Zielvorstellungen und der Wille zum Interessenausgleich.

Étienne François arbeitete, wenngleich mit optimistischem Unterton, ebenfalls Unterschiede heraus zwischen Frankreich und einem “stabileren, aber weniger selbstkritischen“ Deutschland.  In Frankreich werde Präsident Macron wohl wiedergewählt werden, habe aber eine Basis von nur 30%, und die Kritik an der präsidentiellen Demokratie sitze tief. Trotz gemeinsamer Ziele gebe es Differenzen beispielsweise bezüglich der Realität der Grenzen, in Fragen der Migrations- und der europäischen Verteidigungspolitik, bei der Energiepolitik (Nord Stream 2 und Atomenergie). Auch in der Frage der öffentlichen Finanzen und der EU-Regeln stehe umfassende Einigung aus. Die Ausführungen mündeten in ein Plädoyer für das Weimarer Dreieck.

Dies wurde in der kurzen Diskussion aufgenommen und unterstützt. Andere Aspekte: Unter-schiede in Mentalität, Kulturen, Erfahrungen, Strukturen; Notwendigkeit der Konzentration auf bestimmte Projekte; Notwendigkeit für die vielen neuen MdBs, nicht nur Brüssel und Europa kennenzulernen, sondern sich vertieft mit dem deutsch-französischen Verhältnis zu befassen; Besorgnis vieler Franzosen über Migranten („noch Herren im eigenen Land?“), Erfordernis praktischer Umsetzung des Aachener Vertrags.

I.E. Botschafterin Descôtes betonte zum Schluss, der deutsch-französische Austausch sei sehr intensiv, was sich auch an diesem Nachmittag widergespiegelt habe, und angesichts vieler Herausforderungen müsse man im Interesse enger Zusammenarbeit in das gegen-seitige Kennenlernen weiter investieren.

Natürlich war es bedauerlich, dass für die Debatte nicht mehr Zeit zur Verfügung stand, aber unter Corona-Bedingung wäre für den schon lange vorgesehenen veritablen „Kaminabend“ keine ausreichende Teilnehmerschaft zu erwarten gewesen, so dass man das gewählte Ver-fahren als einen gelungenen Kompromiss betrachten konnte.